Der Sehnsucht Raum geben
Alles beginnt mit einer Sehnsucht», sagt Nelly Sachs - das gilt auch für die Exerzitien
Ausgangspunkt für den Weg der Exerzitien ist unser Wunsch nach Ganz-Sein, Heilung, Orientierung, nach Sinn, nach Einheit in einem Leben, in dem wir uns selber oft zerrissen fühlen, hin und her gerissen von Meinungen, Pflichten, Gefühlen und Ansprüchen anderer an uns.
Die Sehnsucht ist sozusagen der Motor, der uns über uns selbst hinaus treibt und ist in unserem Leben eine der Spuren zu Gott.
Mein geistlicher Weg zu Gott ist kein Sprung, bei dem ich die Mühseligkeit oder auch Banalität meines alltäglichen Lebens einfach überspringe, sondern es geht darum, Gott gerade darin zu finden, in dem, was mein Herz jeden Tag bewegt: Freude, Leid, Frustration, Hoffnung, Bitterkeit, Vertrauen, Trauer usw. In all diesen Erfahrungen ist die Sehnsucht nach Ganz-Sein inmitten dieser Zweideutigkeit und Gebrochenheit des Lebens gleichsam der Motor, der rote Faden, der uns zu Gott hin führt
Ein achtsames Herz gewinnen
Exerzitien sind ein Weg der Übung, das sagt schon der Name ‹Exerzitien›: wir üben Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Achtsamkeit
Wir richten in der Zeit der Exerzitien unsere Aufmerksamkeit auf uns, den eigenen Leib, die Gefühle, die Lebensgeschichte, den Tagesablauf. Wir üben, wahrzunehmen und dabei zu verweilen, nicht zu bewerten oder zu analysieren. Über jeden und jede von uns geht täglich eine Flut von Informationen, Bildern, Worten, Eindrücken nieder. Wir sortieren vieles davon aus, blenden es aus, sonst können wir gar nicht leben. In den Exerzitien üben wir einen anderen Weg ein: weniges genau und urteilsfrei anzuschauen.
Ignatius drückt es so aus:
«Denn nicht das Vielwissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Verspüren und Verkosten der Dinge von innen her.»
Dahinter steckt die Erfahrung, dass Gott in allem zu uns reden kann, wenn wir sie mit Achtsamkeit betrachten.
Das Schweigen einüben
Schweigen gehört oft zu den besten und kostbarsten Erfahrungen aus den Exerzitien, wenn auch vielleicht nicht immer zu den einfachsten. Viele erleben Schweigen und innere Ruhe als sehr wohltuend.
Das Schweigen in den Exerzitien ist aber immer hin geordnet auf ein Hören: Hören, was Gott mir für mein Leben sagen will. Und dafür muss ich das Schweigen einüben.
Im ersten Buch der Könige wird erzählt, wie Gott dem Propheten Elija am Berg Horeb erscheint ( 1 Kön 19): nicht im Sturm, nicht im Feuer, nicht im Erdbeben, sondern in einem leichten Säuseln. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber übersetzt diese Stelle: die Stimme verschwebenden Schweigens. Auf diese Stimme versuchen wir zu hören, gerade auch in der Meditation der heiligen Schrift.
Das Ziel dabei ist eine äussere und innere Ruhe, letztendlich das Ruhen in Gott.
Sein Leben ordnen
Der Weg des Übens, der Achtsamkeit und des Schweigens ist auch ein Weg der Verwandlung.
In den Exerzitien nehmen unser Leben, unsere Beziehungen, unsere Lebensgeschichte einen breiten Raum ein: es ist die Einladung, vor Gott alles zuzulassen, die dunklen wie die hellen Seiten, Erfolg und Versagen, die ganze Spannung, in der unser Leben steht.
Jede und jeder, der/die sich auf diesen Weg einlässt, wird den Wunsch spüren, sein/ihr Leben zu ordnen, Dinge zu ändern: in der Arbeit, in den Beziehungen, im Tagesablauf, dort, wo ich mich engagiere. Es können kleine Dinge sein, die unserem Leben eine neue Richtung geben. Das ist auch der Sinn der Exerzitien. Für Ignatius sind sie ein Weg, um im eigenen Leben Orientierung zu finden und zu Entscheidungen zu kommen.
«Wenn erst einmal unser Herz von Gottes Kraft verwandelt ist, was Wunder, wenn dann durch unser Wirken auch die Umwelt gewandelt wird".